Amei ist zurück nach Deutschland geflogen und für uns geht die Reise weiter, vorbei an Patras in Richtung Golf von Korinth. Wir staunen, als wir einen Lidl-Markt entdecken, direkt am Wasser, wie cool! Schnell ankern wir davor, lassen das Dinghi ins Wasser und Gerrit bringt mich kurzerhand an Land, zum ausgiebigen Bunkern, so bequem haben wir es selten!
Die Kühlschränke sind mit lauter griechischen Leckereien zum bersten gefüllt und weiter geht es nach Navpaktos,unser nächstes Ziel im Golf von Korinth.
Dafür müssen wir zunächst die Rion–Antirion–Brücke, zwischen dem Golf von Patras und dem Golf von Korinth, queren, ein imposantes Bauwerk. Sie ist die zweitlängste Schrägseilbrücke der Welt und eine technische Meisterleistung. Sie wurde 2004 eröffnet. Diese Brücke galt lange Zeit als nicht realisierbar, da der Meeresgrund an dieser Stelle 65 Meter tief ist und keinen tragfähigen Grund aufweist. Außerdem liegt die Brücke in einem Erdbebengebiet, verbunden mit einer tektonischen Verschiebung des Peloponnes vom griechischen Festland um mehrere Millimeter pro Jahr. Trotz aller Widrigkeiten wurde dieses Bauwerk schließlich doch realisiert. Es soll nun Erdbeben der Stärke 7 aushalten, Verschiebungen von bis zu zwei Meter in 120 Jahren, starke Stürme und auch einen Aufprall durch eine Schiffskollision standhalten. Sogar als Nicht-Ingenieur ist man von diesem Bauwerk tief beeindruckt, außerdem finden wir die Ästhetik durchaus gelungen, eine wirklich schöne Brücke!
Für die Durchfahrt müssen wir uns über Funk anmelden und die Schiffsgröße und -höhe durchgeben, dann bekommen wir die erlaubte Durchfahrt zugewiesen, für uns ist es die südliche Durchfahrt. Um sicher zu gehen, dass man die Anweisung verstanden hat, muss man noch einmal wiederholen: „drei Pfeiler links, ein Pfeiler rechts“. So kann es eigentlich nicht zu Missverständnissen kommen, eine Anweisung für Doofe! Wer weiß, was die schon alles mit Sportbooten erlebt haben!?
Die Nacht verbringen wir, wie geplant, vor Nafpaktos, ein schöner mittelalterlicher Hafen mit einer venezianischen Festungsanlage, die wir noch abends erklimmen und mit einem wunderschönen Ausblick über den Golf belohnt werden. Wir finden eine schnuckelige Taverne, sitzen auf einem Mini-Balkon, mit Blick auf Mojito am Anker und genießen allerlei Vorspeisen und ein kühles Glas Wein, herrlich!
Wir wollen uns Zeit lassen und den Golf von Korinth ausgiebig erkunden, bevor wir dann als Highlight den Kanal von Korinth passieren werden, ein lang gehegter Traum von uns beiden!
Im Golf von Korinth gibt es unzählige Ankerbuchten, Inseln und kleine Orte umrahmt von einer schönen Bergwelt. Die Hitze macht uns noch zu schaffen, das Thermometer klettert täglich auf über 30 Grad und es weht fast kein Wind. An Segeln ist wieder nicht zu denken, dafür suchen wir mehrmals täglich eine Erfrischung und baden ausgiebig im Meer, eine Wohltat!
Wir wechseln die Seite und fahren zur Südküste, nach Diakoftó. Hier wollen wir die Eisenbahn nehmen und ins Gebirge fahren, nach Kalávryta, dem größten Wintersportzentrum Griechenlands. Diese Bahn ist eine Zahnradbahn und auch sie ist ein technisches Meisterwerk aus dem 19. Jhdt.. Sie ist extrem schmal und überwindet, dank ihres zuschaltbaren Zahnradantriebes zwischen den Schienen, extreme Höhenunterschiede. Es ist Zweifelslos die aufregendste einstündige Zugfahrt unseres Lebens. Es geht durch tiefe Gebirgsschluchten entlang am wilden Fluss Vouraikos. Man weiß nicht was furchterregender ist: die steilen und bröseligen Felswände auf der einen Seite oder der steile Abhang auf der anderen Seite!
In Kalávryta haben wir zwei Stunden Aufenthalt bevor wir uns wieder mit dem Zug auf die Rückfahrt machen wollen. Die Zeit möchten wir nutzen und das Holocaust-Museum besichtigen. Kalávryta ist während des zweiten Weltkrieges zur traurigen Berühmtheit geworden, als deutsche Soldaten hier ein grausames Kriegsverbrechen begannen. Am 13.Dezember 1943 erschossen sie mehr als 400 Menschen. Männliche Teenager ab 13 Jahre und alle übrigen Männer des Ortes mussten sich in der örtlichen Schule versammeln und wurden zu einem nahegelegenen Hügel geleitet wo sie schließlich erschossen wurden.
Die Frauen und übrigen Kinder wurden in der Schule eingesperrt. Als es ihnen gelang zu entkommen fanden sie ihre Liebsten erschossen auf. Der gesamte Ort wurde durch die Wehrmacht zerstört, es war ein Vergeltungsakt für den starken Widerstand auf dem Peloponnes gegen die deutsche Besatzung. Die stehengebliebene Kirchturmuhr ist als Mahnmal an der heutigen Kirche angebracht. Auf der Mahntafel steht: „am 13.Dezember 1943 blieb die Zeit um 14.32 Uhr stehen und das Weinen und Wimmern begann…“
Der Ort und die Schule wurden wieder aufgebaut, im Museum sind Bilder aus früherer Zeit zu sehen, von den Opfern und auch von den Tätern. Was sind das für Menschen, die solche Greueltaten begehen? Ich schaue sie mir genau an und suche nach grausamen Gesichtszügen, doch leider sehen sie „ganz normal“ aus, das macht es noch unerträglicher. An der Wand der Opfer schaue ich in Gesichter von Kindern, Teenagern, Männern, Geistliche. Mir kommen die Tränen. In diesen Momenten lastet die deutsche Vergangenheit schwer auf uns.
Das müssen wir erst einmal verdauen, ein harter Brocken. Es war ein sehr eindrucksvoller Tag, der noch lange nachwirkt.
Wir möchten den Nachmittag nutzen und queren wieder einmal den Golf von Korinth und ankern zwei Tage in Galaxidhi, ein verschlafener und reizvoller kleiner Ort, bevor es weiter geht nach Itea. Von hier aus wollen wir Delfi besichtigen, die berühmte Orakelstätte Griechenlands. Wir brauchen Diesel, nach all den langen Strecken ohne Wind 🙁 , und wollen ausnahmsweise eine Nacht im Hafen verbringen, damit wir am nächsten Tag in aller Frühe den Bus nach Delfi nehmen können.
Alle Versuche die Marina oder Hafenbehörden über Funk zu erreichen scheitern, so entscheiden wir uns einfach im Hafen an der Mole festzumachen. Eine nette Amerikanerin vom Nachbarboot nimmt unsere Leinen an und klärt uns über die Gegebenheiten auf: „manchmal kommt jemand zum kassieren, aber das Büro ist nie besetzt. Keiner der Segler weiß, wie es hier funktioniert.“ Wir können es nicht fassen, eine fertige Marina mit Büro und einer riesigen Parkplatzanlage (ohne Autos) und niemand kassiert! Alles wirkt tot, es ist nicht nachvollziehbar, besonders wenn man überall sieht, wie dringend die Griechen Geld brauchen. Warum wird so eine Marina, noch dazu an einem viel besuchten Ort, nicht bewirtschaftet?
Am nächsten Morgen geht es in aller Frühe mit dem Bus ins nahegelegene Delfi. Zusammen mit Tim und Adrielle, zwei Segler aus Neuseeland, starten wir zur Sightseeing-Tour. Es wird ein interessanter Tag, nicht zuletzt durch tolle Gespräche mit den beiden. Sie sind beeindruckt von der reichhaltigen Kultur im Mittelmeerraum, aber genervt keinen Wind zum Segeln zu haben. In Neuseeland haben sie keine Kulturgüter, dafür gleichmäßige, moderate Winde zum Segeln. Tja, so ist es im Leben, man kann nicht alles haben 😉 Es wird ein kurzweiliger Tag mit den beiden, wir hoffen auf ein Wiedersehen, in der Ägäis oder sonst irgendwo auf der Welt, das wäre toll!
Wir bestaunen diesen mystisch anmutenden Ort Delfi, an dem, in der Antike, die Priesterin Pythia den Rat suchenden Gläubigern, die Orakelsprüche des Apollons übermittelte. Diese Dame saß über eine Erdspalte aus der narkotisierende Dämpfe austraten, die sie einatmete. Dadurch war sie stets in Trance (heute würde man sagen, sie war auf Drogen 😉 und nuschelte schwer verständliche Weissagungen, die dann wieder von den Priestern an die Ratsuchende übermittelt wurden. Die undeutlich gestammelten Worte von Pythia waren nie eindeutig und ließen so einen großen Spielraum der Interpretation zu. Toller Trick, so konnte niemand behaupten sie hätte Blödsinn erzählt.
Drogenproblem hin oder her, der Ort ist beeindruckend – eine unglaubliche Landschaft, ein tolles Licht. Kein Wunder dass die alten Griechen der Meinung waren, dies wäre der Mittelpunkt der Erde, den Zeus mit einem konischen Stein markiert hätte. Tja, es ist wohl schon ein altes Problem der Menschheit, sich stets zu wichtig zu nehmen und zu meinen, der Mittelpunkt der Welt zu sein! Doch nach Hochmut kommt der Fall, wie all diese Hochkulturen zeigen.
Für uns geht es zurück nach Itea, wir sind froh dass wir diesen Ort in aller Frühe besucht haben und wollen uns nun schnell wieder eine ruhige Ankerbucht suchen, in der wir schwimmen können und über all das Erlebte nachdenken können. Was für ein Leben!
Wir finden eine Traumbucht für uns ganz allein, mit Olivenbäumen, Zypressen und Zykaden, die mit ihrem Gezirpe für eine super Stimmung sorgen. Wir bleiben länger als geplant, wir fühlen uns sauwohl und verbringen die Tage mit Standup-Paddeln, lesen, schwimmen, schnorcheln aber auch Arbeiten am Boot, was in solch einer Umgebung wirklich nicht schwer fällt..
Aber es gibt noch weitere lohnende Ziele auf dem Weg zum Kanal, so verlassen wir schweren Herzen „unsere Bucht“ in Richtung Osten.
Für die Passage im Kanal von Korinth haben wir uns im Vorfeld mit Alain und Fabiola vom Katamaran Va´a verabredet, das wollen wir gemeinsam erleben.
Leider setzt uns ein heftiger Meltemi-Wind fest, Alain und Fabiola in Galaxidhi und wir in einer großen Bucht weiter östlich. Während die beiden guten Windschutz haben, finden wir nur mittelmäßigen Schutz vor einem kleinen Ort, doch es gibt keine Alternative. Wir bringen noch einen zweiten Anker aus und müssen nun diese Tage ausharren. Eine heftige Windböe reist mir meine Lieblingssonnenbrille von der Nase und ich muss hilflos zusehen wie sie im aufgewühlten Meer versinkt…! Wer weiß, vielleicht wird sie nun von einem Fisch getragen 😉
Der Meltemi schwächt sich ab, endlich können uns mit Alain und Fabiola in einer kleinen Ankerbucht treffen, unweit des Kanals. Es ist eine unbewohnte Insel mit einem verlassenen Kloster, umrahmt von einer Landschaft die man eher in Schottland vermuten würde. Die Insel ist von Möwen übervölkert, obwohl wir uns unvermeidlich an den Hitchcock-Film „Die Vögel“ erinnert fühlen, finden wir die Umgebung zauberhaft und freuen uns besonders über weniger Wind.
Morgen wollen wir gemeinsam durch den Kanal, voller Vorfreude stellen wir uns den Wecker auf fünf Uhr Morgens.
Als ich als erste am Morgen in unser Cockpit komme, erstarre ich vor Schreck: wir haben eine Ratte an Bord!
Ein Albtraum, und das an meinem Geburtstag! Schnell schlage ich die Salon-Tür zu und gemeinsam überlegen wir unser weiteres Vorgehen. Mit Besen bewaffnet gehen wir auf die Jagd und nach einigem hin und her, gibt die Ratte schließlich auf und springt freiwillig wieder ins Wasser. Wir sind fassungslos, das hätten wir nicht gedacht. Eine Ratte schwimmt etwa 100m durch das Meer und klettert zu uns an Bord. Oder wurde sie vielleicht von einer Möwe fallen gelassen? Wir werden es nie erfahren, egal. Anker lichten und bloß weg hier. Unsere Freunde kontrollieren hektisch ihr Boot, zum Glück entdecken sie keine weitere Ratte!
Das Morgenlicht ist herrlich, wir nehmen Funkkontakt zum Kontrollturm auf, die Vorfreude steigert sich! Der Kanal von Korinth ist die wichtigste Verbindung zwischen dem Ionischen Meer und der Ägäis. Er ist etwa 5 Km lang und ist vermutlich der teuerste Kanal der Welt, wenn man den Preis auf die Länge des Kanals umrechnet.
Schon in der Antike gab es Pläne zum Bau eines Kanals, was sich damals aber wegen der Felsmassen nicht umsetzen ließ. Damals wurden die Schiffe mithilfe einer Schleifbahn über die Landenge transportiert, unglaublich! Erst Ende des 19.Jhdt gelang es schließlich diesen ehrgeizigen Plan in die Tat umzusetzen und den Kanal zu bauen.
Man muss sich für die Passage anmelden. Die Durchfahrt erfolgt abwechselnd in jeder Richtung und wird als Konvoi gebündelt, bezahlt wird auf der Ostseite. Wir warten mit ungefähr zehn Booten auf Anweisungen und fahren derweil vor der Einfahrt hin und her. „Es kann nicht mehr lange dauern“, denken wir, als wir plötzlich über Funk hören, dass ein Boot aus der Gegenrichtung während der Durchfahrt seine Drohne verloren hat! Persönliches Pech, unsere Meinung dazu! Aber nein, er bekommt tatsächlich die Erlaubnis vom Kontrollturm bei der Ausfahrt festzumachen und mit seinem Dinghi seine Drohne im Kanal zu suchen. Aber mit der Bitte sich doch zu beeilen, es wäre ein hohes Verkehrsaufkommen – die Brücke muss auch für sein Dinghi abgesenkt bleiben.
Als der Skipper sich nach langer Zeit endlich über Funk meldet, dass er sein Spielzeug wiedergefunden hat, kann man ein allgemeines Jubeln auf den wartenden Booten vernehmen. Nach 1,5 Stunden Wartezeit nun der Einlass, was für ein Moment, wow! Der Kanal durchschneidet die Landschaft wie eine Schlucht, die Felswände ragen auf beiden Seiten bis zu 90 Meter hoch. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, ein tolles Geburtstagsgeschenk.
Abends lassen wir den erlebnisreichen Tag in einer Taverne ausklingen, feiern meinen Geburtstag gemeinsam mit Alain und Fabiola und lassen das Erlebte nachwirken. Ein wunderschöner Tag mit netten Menschen, so kann das Leben weitergehen!