Wir tingeln weiter entlang der spanischen Küste und mögen nicht daran denken bald wieder fest in einer Marina zu liegen, obwohl wir auch eine kleine Freude spüren wieder nach Torrevieja zurück zu kehren, um zu sehen was sich dort während unserer Abwesenheit getan hat. Torrevieja ist wahrlich keine Schönheit, auch hier hat der ungezügelte Bauboom gnadenlos zugeschlagen. Aber die Stadt verfügt über eine sehr gute Infrastruktur und die Nähe zum Flughafen von Alicante ist für uns perfekt.
Noch haben wir ein paar Tage Zeit und fahren zunächst an Torrevieja vorbei um noch den einen oder anderen schönen Ankerplatz anzulaufen.
Unsere Kupplung meldet sich wieder, sie möchte sich wohl wieder in Erinnerung bringen. Da sind sie wieder, die bösen Geister die man einfach so verdrängt und sich dabei einredet, sie wären nicht mehr da. Weit gefehlt! Die Kupplung hatte uns bereits in Griechenland große Probleme bereitet: damals, als wir einen Ankerplatz auf Ithaka wegen starkem auflandigem Wind verlassen mussten und die Kupplung ausgerechnet in dem Moment, als der Anker gelichtet war, beschloss ihren Dienst zu quittieren und wir dadurch nur eingeschränkt manövrierfähig waren. Das sind die Momente in denen man dann kurzzeitig einen kräftigen Adrenalinstoß bekommt. Doch bevor wir dann an der Küste zerschellten, überlegte es sich die Kupplung doch noch mal und beschloss die Reise gemeinsam mit uns fortzusetzen. Dafür bekam sie von Gerrit noch einmal frisches Öl und alle waren glücklich. Doch nun meldet sie sich wieder, vielleicht fühlt sie sich nicht wahrgenommen und möchte einfach nicht in Vergessenheit geraten.
Wir diskutieren unser weiteres Vorgehen und überlegen ob es sinnvoll wäre, einfach mal der Werft in San Pedro einen Überraschungsbesuch zu machen, vielleicht freuen sie sich ja auch, uns nach zwei Jahren Abwesenheit wieder zu sehen.
Zudem ist Gerrit auch beunruhigt, weil er beim Schwimmen ein paar Bläschen im Gelcoat im hinteren Bereich der Kufen entdeckt hat. Er hat auch gleich ein furchtbare Vermutung: OSMOSE!
Osmose ist eines der großen Schreckgespenster für jeden Eigner eines GFK-Bootes. Bei Osmose tritt Feuchtigkeit in das Gelcoat ein und zersetzt die Struktur und damit die Stabilität des Schiffes. Als wir Mojito gerade gekauft hatten und vor Ibiza über eine Seegraswiese ankerten, da spürten wir dieses große Schreckgespenst das erste Mal: es knisterte im gesamten Boot und wir waren uns sicher, das muss Osmose sein. Nach einigen schlaflosen Nächten und Recherchen im Internet konnten wir den Übeltäter ausmachen: es war nur der Pistolenkrebs. Dieser kleiner Krebs im Mittelmeer schießt einen Wasserstrahl auf seine Beute und viele Pistolenkrebse machen diese knisternde Geräusche im Boot, was für eine Erleichterung.
Doch nun haben wir Bläschen, das muss ich auch zugeben, die kann man nicht schön reden. Eigentlich habe ich keine Lust unsere schönen Ankertage gegen einen Werftaufenthalt zu tauschen, aber mir fallen keine Gegenargumente ein, also gebe ich mich geschlagen und wir machen uns auf den Weg.
Wie der Zufall es will, beschließt unsere Kupplung in dem Moment, in dem wir in das Hafenbecken der Werft einlaufen, nun endgültig das zeitliche zu segnen und verweigert jegliche weitere Mitarbeit. Das kann man natürlich auch positiv bewerten und sich freuen, dass die Kupplung alles gegeben hat und bis zur letzten Minute durchgehalten hat. Die beiden Chefs von der Werft heißen beide Manolo, das kann man sich auch nach längerer Abwesenheit gut merken, sehr praktisch. Die beiden Manolos freuen sich tatsächlich uns wieder zu sehen, wobei ich meine ein paar Euro-Zeichen in ihren Augen zu erkennen, beide wittern die fette Reparatur. Dem einen sein Leid, dem anderen seine Freud – so ist das Leben!
Jetzt gibt es wenigstens keine weitere Überlegung, ob oder ob nicht. Nein, die Sache ist klar: wir werden gekrant und für ein paar Wochen zur Reparatur an Land gestellt.
Wenn die eine Kupplung nach zwölf Jahren Lebenszeit den Dienst quittiert macht es Sinn auch gleich die zweite Kupplung zu tauschen. Es ist auch eine gute Gelegenheit die beiden Bälge zu tauschen, da auch diese nun zwölf Jahre alt sind. Die Bälge sind die dicken Gummimanschetten, die die unter Wasser liegende Eintrittstelle der Antriebe im Rumpf abdichten. Diese Tatsache macht es verständlich dass es durchaus in unserem Interesse ist, dass diese rechtzeitig getauscht werden und nicht erst wenn sie porös und undicht sind.
Manolo 1 begutachtet unsere Bläschen und gibt Entwarnung, es ist keine Osmose. Aber es ist eine Vorstufe, irgendwo dringt Feuchtigkeit ein, wir haben auch schon eine böse Vermutung. Nach unserem Mastbruch mussten wir die beschädigte seitliche Stoßleiste erneuern. Um das passende Gesamtbild des Bootes zu erhalten, gaben wir der Werft in Martinique den Auftrag nicht nur die seitlichen Stoßleisten zu erneuern, sondern auch die hinteren Stoßleisten am Heck auszutauschen. Dies geschah während unserer Abwesenheit und Gerrit hat nun die Vermutung dass die Schrauben nicht ordentlich abgedichtet wurden. Gerrit montiert die beiden Leisten ab und wir können nicht glauben was da zu Tage kommt. Tatsächlich waren die Bohrlöcher, wie vermutet, nicht fachgerecht abgedichtet. Doch scheinbar war diese Schutzleiste vom Vorbesitzer schon einmal neu angebracht worden und auch damals die Löcher nicht verschlossen worden. Das Heck gleicht einem Schweizer Käse, wir zählen pro Kufe 120 (!) Löcher, durch die fleißig bei achterlicher Welle Feuchtigkeit ins Gelcoat eindringen kann. Sticht man die Blasen am Gelcoat an, tritt ein Tropfen Wasser aus. Wie gut dass wir nicht länger damit gewartet haben, noch ist der Schaden gering und relativ einfach zu beheben. Aber trotzdem ärgerlich und eigentlich unnötig, wenn jeder einfach seine Arbeit ordentlich ausführen würde.
Die befallenen Stellen müssen nun abgeschliffen werden, durchtrocknen, wieder verschlossen und neu lackiert werden. Das passt gut zu unserem Zeitplan, wir müssen für eine geplante ärztliche Untersuchung nach Deutschland, derweil kann Mojito in der Herbstsonne trocknen.
Als wir nach fast drei Wochen Abwesenheit zurückkehren, ist Mojito nicht wie versprochen fertig. Manolo erklärt uns mit Welpenblick, es gab nur schlechtes Wetter, sie konnten leider die Arbeiten nicht ausführen. Komisch, diese Ausrede scheint international zu sein. Als wir Mojito in Martinique zurückließen, folgte auch dort eine angeblich mehrwöchige Schlechtwetterperiode und auch damals konnten außer der unsachgemäß angebrachten Stoßleisten, keine weiteren Arbeiten ausgeführt werden.
In meinem früheren Leben hätte ich mich an dieser Stelle maßlos geärgert und ich hätte mich den ganzen Tag darüber aufgeregt, und…., was hätte es gebracht??
Am besten man atmet tief durch und sieht es wie unser australischer Nachbar in Licata letzten Winter. Sein Spruch: „It is like it is“. So ein Leben auf dem Boot entschleunigt und entspannt ungemein!
Anstatt uns sinnlos über diese Situation aufzuregen gehen wir zu den benachbarten Salinen, in ein kleines Restaurant, schlürfen eine leckere Gazpacho (kalte Gemüsesuppe) in der warmen Herbstsonne und beobachten die Salzernte in den Salinen. Dort wird das Salz mit mehreren Radladern auf LKW geladen und zum Hauptgebäude gefahren, wo es dann getrocknet wird und als Streusalz abgesackt und für den Weitertransport vorbereitet wird. Es herrscht eine rege Betriebsamkeit und es erinnert uns an die Getreideernte in unserem früheren landwirtschaftlichen Betrieb. Es ist schön das Geschehen zu verfolgen, die rosa leuchtende Salinenfelder und dahinter die riesigen geernteten Salzberge zu sehen. Wir haben uns nie so wirklich Gedanken gemacht, wo unser Streusalz eigentlich herkommt, nun wissen wir es. Doch bei den augenblicklichen Sommertemperaturen fällt es schwer an Glatteis zu denken.
Die Tage auf der Werft gehen tatsächlich auch vorbei und wir werden mit zwei neuen Kupplungen, zwei neuen Bälge, zwei frisch aufgearbeitete Heckkufen, ein sauberes Unterwasserschiff und poliertem Rumpf wieder in die Freiheit entlassen. Die zusätzlichen Standtage auf der Werft werden uns nicht in Rechnung gestellt, das ist fair.
Nach einem Kurzbesuch in Torrevieja beschließen wir die schönen Herbsttage noch zu nutzen und fahren wieder raus zum Ankern. Leere Ankerplätze bei sommerlichen Temperaturen laden zum Schwimmen und Verweilen ein und das wunderschöne Licht in dieser Jahreszeit verstärkt noch das „Wohlfühl-Gefühl“.
Wir machen einen Abstecher nach Cartagena, um diese schöne Stadt zu besuchen, aber auch weil Frank und Eva dort dieses Jahr Überwintern. Es ist schön die beiden wieder zu treffen und wir verbringen schöne Stunden zusammen, an Gesprächsstoff mangelt es nicht!
Einziger Wermutstropfen in Cartagena sind die Kreuzfahrtschiffe. Wir entwickeln eine zunehmende Allergie gegen diese Dreckschleudern, auch weil sie sich scheinbar unkontrolliert vermehren. Bei unserem letzten Besuch in Cartagena (vor vier Jahren) lagen hier nur vereinzelt Kreuzfahrtschiffe der mittleren Größe und das nicht jeden Tag. Nun da Barcelona wegen Unruhen nicht angefahren wird, suchen sie nach Alternativen und kommen geballt nach Cartagena. Es liegen hier täglich drei Kreuzfahrtschiffe, davon zwei Riesen-Monster. Alle drei stoßen fortlaufend ihre Abgase in die Luft und lassen die Motoren unangenehm brummen und außerdem nehmen sie uns die Sonne. Die Stadt kann diese Menschenmassen nicht unbemerkt schlucken, auch hier spüren wir die Hektik und den Konsumrausch der Kreuzfahrer. Somit beschließen wir unseren Aufenthalt in Cartagena vorzeitig zu beenden und uns einen Platz fernab der Kreuzfahrtschiffe zu suchen. Das heißt natürlich auch, dass wir uns von Frank und Eva verabschieden müssen. Doch wir treffen uns wieder, irgendwann und irgendwo, das ist sicher!
Dafür wartet die nächste nette Begegnung auf uns: Alain und Fabiola, unsere französischen Freunde, sind von La Grande Motte in Südfrankreich gestartet und wollen in die Karibik. Sie segeln entlang der spanischen Küste und möchten sich unbedingt noch mit uns treffen, was für eine Freude! Wir vereinbaren den Ankerplatz bei Cabo de Palos und verbringen drei gemeinsame Tage an einem wunderschönen Platz. Die beiden sind voller Vorfreude und leichter Anspannung im Hinblick ihrer bevorstehenden Atlantiküberquerung. Wir sind etwas neidisch und fühlen uns wieder in die Zeit vor unserer eigenen Atlantiküberquerung versetzt, was für ein Erlebnis, wie gerne würden wir es noch einmal tun.
Für uns heißt es nun endgültig unseren Liegeplatz für den Winter zu beziehen. Wir haben noch einige Arbeiten am Boot zu erledigen, bevor wir für mehrere Wochen nach Deutschland gehen.
Wir sind wieder in Torrevieja an der Costa Blanca in Spanien. Hier haben wir vor über fünf Jahren Mojito entdeckt und gekauft und damit hat sich unser Leben damals grundlegend geändert. Wir entdeckten dass es ein anderes Leben gibt, jenseits des getriebenen Alltagsleben im Erfolgsstress. Mojito veränderte uns Stück für Stück und wir sind ihm sehr dankbar dafür. Torrevieja war damals eine Zeitinsel für uns, das Leben tickte hier anders, es tat unendlich gut hier eine Zeitlang „abzutauchen“.
Dann wagten wir spontan einen weiteren Schritt, verlagerten unser Leben ganz auf Mojito und starteten damit das Abenteuer „wir-leben-auf-dem-Wasser-und-segeln-über-den-Atlantik“. Seitdem haben wir in den vergangenen 2 Jahren gemeinsam 13.000 sm zurückgelegt, das entspricht etwa 24.000 Km. Gemeinsam haben wir 14 Länder bereist, 50 Inseln erkundet und in unzähligen Buchten geankert. Wir haben gemeinsam gutes und schlechtes Wetter erlebt, einen Mastbruch und eine zweite gemeinsame Atlantiküberquerung auf einem Frachter. All das schweißt zusammen, macht uns stolz und glücklich.
Wie schon bereits erwähnt, stellten wir uns die Frage ob sich Torrevieja verändert hat. Nein, Torrevieja hat sich, bis auf wenige Einzelheiten, nicht verändert. Aber wir, das spüren wir sehr deutlich, wir haben uns verändert. Es ist zwar schön wieder hier zu sein, bekannte Gesichter zu sehen und die Annehmlichkeiten der Stadt zu nutzen. Doch spüren wir in uns einen großen Entdeckungsdrang, wir möchten noch viel mehr von dieser wunderbaren Welt sehen und nicht im Bekannten verharren. Wir können es schon jetzt kaum erwarten im Frühjahr zu starten und uns in das nächste spannende Abenteuer zu begeben.
Ich habe keine Angst vor der Welt, aber ich habe Angst vor Menschen, die Angst vor der Welt haben. (Elisabeth Gilbert)