Wir hängen mittlerweile schon 14 Tage in Cadiz fest und die Meldungen werden eher schlechter, als besser. „Wir hätten es besser wissen müssen und nach Portugal durchziehen müssen…“, sagen wir uns immer wieder, wenn wir über diesen unfreiwilligen Stillstand in unserem Seglerleben nachdenken.
Wir sind angewiesen worden, unser Boot nicht zu verlassen, nicht einmal den Steg sollten wir betreten, Ausnahme nur um den Müll zu entsorgen. Die Marina dürfen wir nicht verlassen, nur unter Angabe eines triftigen Grundes, wie Einkaufen (nur der nächste Supermarkt und dann alleine) oder Apotheke.
In Spanien wird die Lage in den Krankenhäusern immer dramatischer, es fehlt an allem, das medizinische Personal arbeitet weit über die Belastungsgrenzen. Eine deutliche Besserung der Corona-Situation ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, wir sind der Meinung, dass Spanien mit ihrer eigenen Bevölkerung mehr als genug zu tun hat. Daher sind sie sicher froh über jeden Nicht-Spanier, der das Land verlässt, für den sie dann keine Sorge tragen müssen.
Für uns besteht eine große Gefahr, uns bei den nötigen Besorgungen in der Stadt mit dem Corona-Virus zu infizieren. Daher wächst bei uns die Einsicht: wir müssen hier weg!
Auf dem Wasser fühlen wir uns vor dem Virus absolut sicher, wir haben genügend gebunkert und eingekocht um locker vier Wochen ohne Landgang zu überstehen. Das Auswärtige Amt schreibt zu diesem Zeitpunkt sinngemäß auf seiner Internet-Seite: Yachten dürfen in Portugal anlanden um zu tanken und Proviant aufzunehmen, die Crew darf nicht an Land gehen. Transit-Yachten auf dem Heimweg dürfen die Portugiesischen Gewässer befahren.
Unser ernstzunehmender Gegner in unserem Seglerleben ist der Wind. Wir müssen ihn genau checken, und wenn erforderlich rechtzeitig Schutz suchen und abwettern. So lange das klappt, ist der Wind unser Freund, der uns voranbringt. Wenn es nicht klappt, wird er schnell zum Feind, der uns in lebensbedrohliche Situationen bringen kann. Wir haben großen Respekt vor der Westküste von Portugal und von Frankreich, dort ist die See sehr launisch und rau.
Während unserer Vorbereitungszeit für diese Reise, als uns das Wort „Corona“ nur in positiven Zusammenhängen, wie Bier, Geschichte oder Kultur bekannt war, hatten wir geplant, während des Törns häufig in Häfen Schutz zu suchen und nur bei sicheren Wetterlagen weiterzuziehen. „Immer sutje“ wie der Ostfriese sagt. Heute sieht die Welt ganz anders aus, als vor einem Monat, wer hätte das für möglich gehalten. Also brauchen wir eine Planänderung, da wir uns im Klaren sind, dass wir in Portugal keinen Hafen anlaufen dürfen. Wir checken die Buchten an der Westküste und die Distanzen und kommen zum Entschluss: es ist nicht perfekt und nicht die bequemste Lösung, aber es ist machbar und wenn das Wetter es zulässt, können wir durchaus mehrere Tage und Nächte durchsegeln und Strecke machen. Sollte das Wetter nicht mitspielen, so gibt es einige passende Buchten zum Abwettern. Unser Ziel: möglichst zügig nach Deutschland zu kommen. In diesen unklaren Zeiten möchten wir unser Schiff nicht irgendwo zurücklassen und noch weniger möchten wir zur Zeit gemeinsam mit vielen anderen Menschen per Flugzeug, Zug oder Bus reisen. Auch hier schreibt das Auswärtige Amt sinngemäß zu dieser Zeit: wer sich mit eigenen Mitteln auf dem Heimweg begeben kann, sollte dies tun.
Also schnell noch die Wäsche waschen (das Wasser brauchen wir schon mal nicht selbst zu produzieren, gibt es noch am Steg), ein Brot backen, Abend essen und vor der völligen Dunkelheit legen wir Samstagabend ab und werden durch winken und Schiffshorn von unserer kleinen Hafengemeinschaft verabschiedet.
Es fühlt sich alles ganz anders an als sonst, wir starten nicht um neue Ziele zu entdecken, nein, wir wollen einfach nur unsere Situation zum Besseren verändern, denken wir.
Nach einer durchsegelten Nacht, laufen wir Sonntagmittag in das große Lagunengebiet vor Faro und Olhao ein, hier gibt es reichlich Ankerplatz, wir ankerten hier bereits vor drei Jahren. Sollte man uns hier zu einer 14-tägigen Quarantäne vergattern, wäre es erträglich. Das Licht ist wunderschön, die Insel Culatra zeigt sich in den herrlichsten Farben. Es ankern einzelne Yachten in diesem weitläufigen Gebiet. Vor der Einfahrt zur Lagune wurden wir von einer Delfinschule begleitet und zahlreiche Albatrosse flogen ihre Runden. In solchen Momenten geht einem das Herz auf und die Welt scheint wieder in Ordnung, Corona spielt hier keine Rolle.
Doch wir kommen nicht zum Ankern, wir werden von der Maritimen Polizei abgefangen und nach unserem Vorhaben befragt. Wir erzählen unser Anliegen und dass wir nur eine Nacht ankern möchten und dann in Richtung Deutschland weiterziehen. Wir brauchen nicht an Land und sind auch bereit, wenn erforderlich, eine 14-tägige Quarantäne hier vor Ort einzuhalten. Die beiden sind sehr nett, tragen aber zu unserer Verwunderung weder Mundschutz noch Handschuhe, nehmen unsere Personalien auf und führen mehrere Telefonate. Schließlich teilen sie uns mit, dass sie leider nichts für uns erreichen konnten und es ihnen sehr Leid täte, aber wir dürften hier nicht ankern. Ihre Begründung ist, dass dieses Lagunengebiet ein Hafen ist und daher nun nicht mehr angelaufen werden darf. Sie scheinen selbst ganz unglücklich über diese Aussage zu sein und sagen, dass sie trotzdem hoffen, dass sie uns nächstes Jahr hier wiedersehen. Wie nett! Sie erklären, dass wir vor der Küste ankern dürfen und in Buchten die keinen Hafenstatus haben. Überhaupt sollten wir stets die jeweilige Port Authority anfunken und um Erlaubnis fragen, denn das würde jeder unterschiedlich handhaben, da gebe es kein einheitliches Vorgehen.
Okay, damit können wir leben. Wir machen uns auf dem Weg weitere 20 sm bis zur, von den Polizisten angewiesenen Ankerbucht vor Albufeira. Wir erreichen die Bucht bei Dämmerung, sie ist nicht perfekt, da sie wenig Schutz bietet und viel Schwell hat. Aber in diesen Zeiten kann man nicht anspruchsvoll sein. Wir beschließen Mojito mit Hilfe eines Heckankers zu stabilisieren, morgen geht es eh weiter, Hauptsache in Ruhe essen und schlafen, mehr möchten wir nicht. Der Strand von Albufeira ist menschenleer, die Hotels sind verwaist, eine komische Stimmung. Volle Strände sind nicht schön, aber in diesen Zeiten wünscht man sie tatsächlich wieder herbei! Die Freude über den Ankerplatz ist von kurzer Dauer, es meldet sich die Maritime Police über Funk und erklärt, dass wir nicht Ankern dürfen. Ich ziehe alle Register und erkläre dem Beamten unsere Situation und versichere ihm, dass wir nur ankern, weit ab vom menschenleeren Strand, dass wir morgen früh wieder verschwinden und nicht an Land gehen. Ich flehe ihn an, Verständnis zu haben und einen vernünftigen Weg in diesen schlechten Zeiten zu finden. Ich wundere mich über mich selbst, dass ich all das auf Englisch über Funk geregelt kriege und bin ein wenig Stolz. Der Polizist bittet mich um einen Moment Geduld und meldet sich nach kurzer Zeit, und teilt uns mit, dass das Ankern an der gesamten Portugiesischen Küste ab sofort verboten sei und das Navigieren ebenfalls, außerdem seien alle Häfen gesperrt. Auf meine Frage, wo wir denn dann hin sollen, antwortet er flapsig: „go to Germany“! Haha, kleiner Scherzkeks!
Die portugiesischen Hafenbehörden versagen hier nach unserer Meinung auf ganzer Linie. Sie schotten sich einfach ab, ohne Sachverstand und ohne wohl überlegte Strategie. Ein Armutszeugnis für eine alte Seefahrernation! Es gab schon früher Quarantänestege in der Seefahrt, warum nicht jetzt? Außerhalb Europas ist es für uns Europäer Pflicht bei Ankunft die gelbe Quarantäneflagge zu hissen und so lange bis alle Autoritäten ihren Stempel erteilt haben, darf niemand von Bord. Warum kann Europa dieses Vorgehen in Krisenzeiten nicht wieder einführen und so zumindest die Durchreise erleichtern. In der Karibik sehen zur Zeit viele Segler angstvoll in die Zukunft, sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder sie verbringen die Hurrican-Saison an Ort und Stelle, wo sie plötzlich und unfreiwillig durch Corona ausgebremst wurden. Dann sind es nicht unbedingt Hurrican-sichere Inseln, also haben sie dort keinen Versicherungsschutz. Oder sie wagen die nördliche Atlantiküberquerung ohne derzeitige Möglichkeit in Portugal anzulanden. Das heißt, eine deutsche Yacht muss sich augenblicklich darauf einstellen nonstop von der Karibik nach Deutschland segeln zu müssen. Für kleine Crews oder Familien mit Kindern ist dies fast nicht zu bewältigen.
„In der langen Geschichte der Menschheit hat gesunder Menschenverstand nicht gerade die größte Erfolgsbilanz vorzuweisen!“ Welch passender Spruch in dieser verworrenen Situation.
Wir realisieren langsam, dass wir keinen Status mehr haben, dass wir niemanden interessieren und kommen uns vor wie Bootsflüchtlinge, die keine Hilfe erwarten dürfen. Unsere Europaflagge weht trotzig im Wind, aber das Europa, dass wir kannten und so sehr schätzten, zerfällt gerade zu einem Scherbenhaufen.
Wir beobachten auf AIS eine schwedische Yacht von Madeira kommend und scheinbar nach Nordeuropa wollend. Sie fahren die Küste ab und werden offensichtlich überall abgewiesen, sie wagen schließlich den Weg entlang der Westküste und ankern später vor Lissabon, als einzige Yacht, mal sehen wie lange. Es gibt noch andere, die herumirren.
Wir bekommen moralische Unterstützung durch andere Yachties, die uns über AIS beobachten und entweder anfunken oder per mail kontaktieren. Vielen Dank, dafür! Hans und Gaby bemühen sich aus der Marina von Portimao heraus eine Lösung für uns zu finden, wie rührig. Jens und Dörte schreiben uns, obwohl sie uns persönlich nicht kennen, von ihrem Ankerplatz in Portimao und bieten uns ihre Hilfe an. Das sind die netten Erlebnisse, die uns aufmuntern und zeigen, dass es auch Menschlichkeit gibt in diesen verrückten Zeiten. Gerade Portimao zeigt beispielhaft wie unsinnig diese Sperrungen sind. Dort gibt es einen riesigen geschützten Vorhafen, wo im Sommer zahlreiche Yachten ankern, dieser würde sich nun für weiterziehende Yachten perfekt anbieten. Doch leider bleibt uns die Zufahrt verwehrt, da die Bucht einen Hafenstatus hat.
Zunächst beschließen wir der schwedischen Yacht zu folgen und um das Kap Sagres in Richtung Cascais zu segeln. Doch was erwartet uns dann, fragen wir uns. Werden wir überall abgewiesen, können wir nirgends Schutz finden vor den angekündigten starken Nordwinden. Wir lesen, dass auch Frankreich die Maßnahmen verschärft hat und ein Ankerverbot, Navigationsverbot und alle Häfen geschlossen hat. Unsere Situation wird immer verworrener, besonders weil Maßnahmen von jetzt auf gleich umgesetzt werden und man dabei mit sofortiger Wirkung einfach durchs Netz fällt. Also beschließen wir umzukehren und wieder zurück nach Cadiz zu segeln, 240 sm umsonst zurückgelegt. Wir sind übermüdet, gefrustet und voller Sorge und Angst wohin das alles gerade führt. Wir haben keine Rechte mehr, nicht einmal die Menschenrechte scheinen noch gewahrt zu werden. Wir können nun einen kleinen Bruchteil der Gefühle nachfühlen, die die Flüchtlinge empfinden. Dieser kleine Bruchteil fühlt sich schon wie ein Albtraum an.
Während wir zurückfahren erfahren wir, dass auch Spanien die Maßnahmen weiter verschärft hat und das ganze Land nun einen Winterschlaf halten soll. Angstvoll fragen wir uns, was passiert wenn die Spanier uns nun auch nicht mehr aufnehmen? Wenn das passiert, dann haben wir ein großes Problem. Dann können wir bis nach Deutschland nirgends anlanden.
Hans schreibt uns und schlägt uns vor den ersten spanischen Hafen Ayamonte anzulaufen. Sie kennen den Hafen, er ist gut und es wäre nur die Hälfte der Strecke zurück. Gute Idee, danke Hans!
Sobald wir am Morgen wieder Netz haben, rufen wir den Hafen an und erfahren dass alles geschlossen ist, keine Chance auf Einlass. Also weitere 60 sm Richtung Cadiz, die Angst sitzt uns im Nacken keinen sicheren Platz mehr zu finden. Am späten Nachmittag erreichen wir spanisches Hoheitsgewässer, es wird von einem Schiff der Küstenwache überwacht, wir spüren einen Kloß im Hals und zucken bei jedem Knacken im Funkgerät zusammen. Wir erwarten ständig den Funkspruch: „Mojito, Mojito, this is the Spanish Coast Guard“, doch nichts passiert. Also weiter. Kurz vor der Dunkelheit haben wir wieder Netz und rufen die Marina von Cadiz an. Doch auch dort die Antwort: „ the marina is closed“ Nun ziehe ich alle weiblichen Register, flehe und bitte, ohne Erfolg. Der Mann spricht zwar kein Englisch, aber er gibt uns den Tip in Puerto Sherry anzufragen, was wir umgehend tun. Auch hier spricht der Marinero kein Englisch, aber irgendwie verständigen wir uns und als ich das Wort „si“ höre, kann ich nur noch „gracias, gracias, mucho gracias“stammeln, welch ein Glück! Es sind aber noch zwei Stunden Weg, wir sind noch nicht da, bloß nicht zu früh freuen, sonst ist die Enttäuschung umso größer. Schon sehen wir von weitem ein Schiff, welches sehr nach Guardia Civil aussieht, oh nein, bitte nicht! Es scheint aber Kurs auf Cadiz zu haben, an uns vorbei. Es ist nur eine kurze Erleichterung, denn schon ändert es den Kurs und kommt auf uns zu. Mist! Wir hatten schon extra das AIS ausgestellt um uns unsichtbar zu machen, aber wir wurden trotzdem entdeckt. Sie halten längsseits Abstand zu uns, funken uns an und wollen wissen woher wir kommen. Ich erzähle ihm unsere Odyssee, die englischen Worte sprudeln nur so, wir können es nicht fassen, als ersagt: „okay, dann setzt euren Weg fort“, was für eine Freude. Nun kommt uns zugute, dass wir als letzten Hafen Cadiz angeben können und damit von Spanien nach Spanien gereist sind, also offiziell kein anderes Land betreten haben.
Kurze Zeit später fahren wir in die Marina, der Marinero hilft uns beim Anlegen und empfängt uns freundlich. Er klärt uns auf, dass wir nicht an Land dürfen. Wollen wir auch nicht, wir sind so froh wieder einen Status zu haben, wir stellen keinerlei Ansprüche mehr, versprochen!
Was für ein Glücksgefühl wieder irgendwo sein zu dürfen. Wir sind völlig übermüdet, voller Stresshormone und killen an dem Abend zur Feier des Tages eine Flasche Wein und stoßen auf die Spanier an, die Menschen, die in Krisenzeiten Menschlichkeit zeigen.
Am nächsten Tag besucht uns die Guardia Civil und befragt uns freundlich, kontrolliert die Papiere und klärt uns über die Verhaltensregeln auf. Zum Abschied sagen sie „welcome in Spain“ Uns wird ganz warm ums Herz. Kurze Zeit später kommt die Policia Local um die Formalitäten zu erledigen, wieder sehr freundlich. Sie fragen wie lange wir planen hier zubleiben. „Äh…, wir bleiben so lange wie es braucht“ antwortet Gerrit „wenn alles vorbei ist und wir wieder navigieren dürfen, setzen wir die Reise nach Deutschland fort“ daraufhin antwortet der Polizist: „Aber warum? Wer hat euch gesagt, dass ihr nicht navigieren dürft. Wenn ihr nach Deutschland wollt, dann könnt ihr es tun.“ Wir wissen nicht ob wir lachen oder weinen sollen. Gerrit erzählt ihnen unsere Geschichte, nachvollziehen können sie es nicht, wir auch nicht. Aber unsere Meinung ist nicht gefragt.
Sollte Europa diese Krise überstehen, dann gibt es einige Hausaufgaben zu erledigen, das Denken und Handeln als geeintes Europa hat in diesem und in anderen Bereichen nicht funktioniert.
Aber die Spanier sind uns dafür noch mehr ans Herz gewachsen!
Nun heißt es für uns abwarten und hoffen dass sich das Virus abschwächt und die Länder ihre Maßnahmen dann wieder lockern. Oder dass zumindest zeitnah eine Regelung für uns Langfahrtsegler gefunden wird.